An diesem letzten Sonntag im Kirchenjahr denken wir an den einzig wahren König. Wie können wir ihn uns 102 Jahren nach dem Ende der Monarchie einen als solchen vorstellen?
Mit Bildern aus den bekannten europäischen Königshäusern kommen wir dabei nicht weiter. Gemeint ist das Bild eines orientalischen Hirten-Königs, der sein Volk fürsorglich regiert und führt. Die Hirten Israels, das waren seine Könige und die Führungsschicht, haben versagt.
Sie haben nur für sich selbst gesorgt und das Volk ausgebeutet, anstatt für Recht und Ordnung zu sorgen. Das Christkönigsfest am Ende des Kirchenjahres lenkt unsere Aufmerksamkeit wieder auf das Verhältnis zwischen unserem irdischen Leben und seiner Vollendung in Christus, dem König und Hirten.
Michelangelos Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan ist wohl die berühmteste Darstellung dessen, wovon das heutige Evangelium spricht. Einmal, „wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt“, wird es eine endgültige Scheidung geben, „wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“. Einmal wird endgültig die Schlussabrechnung vorliegen, Plus und Minus werden klar dastehen.
Es ist Gottes letztes Gericht. Aber wie kommt es zustande? Nach welchem Maßstab wird gemessen, nach welchen Kriterien geurteilt? Zwei große Überraschungen: Das Gericht hat schon stattgefunden.
Am Ende wird nur offenbar, was längst schon entschieden ist. Entschieden hat sich alles dort, wo wir es vielleicht gar nicht oder zu wenig erwartet haben: im Verhältnis zu meinem Nächsten. Wie ich einmal endgültig vor Gott stehen werde, das entscheidet sich heute daran, ob ich meinen kranken Nachbarn wahrgenommen und besucht habe.
Jesus nennt sechs Situationen der Not: die Hungrigen, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken und die Gefangenen. Sie stehen für alle Formen der Bedürftigkeit und des Leids. Und nun das zweite überraschende: Jesus identifiziert sich mit allen diesen Notleidenden. Wer sie beachtet, findet Ihn. Wer ihnen Gutes tut, tut es auch Ihm. „Wann haben wir dich gesehen und dir geholfen?“ Auf diese erstaunte Frage gibt Jesus die entscheidende Antwort: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Was vor Gott zählt, ist die selbstlose, selbstverständliche Zuwendung zum Nächsten, der meiner Hilfe bedarf. Daran, so sagt uns Jesus, entscheidet sich euer ewiges Heil. Die Entscheidung fällt täglich, und wichtig ist nicht, ob wir uns dessen bewusst sind, sondern, dass wir es tun.
Eines erschreckt an der Rede Jesu vom Weltgericht: Die „Böcke“ zur Linken, die der ewigen Strafe verfallen, haben gar nicht gemerkt, dass sie Gott übersehen haben, als sie sich den Notleidenden nicht zugewandt haben. Wie leicht wird der Nächste übersehen! Vor Gott zählt die Unterlassung des Guten schwerer als das Tun des Bösen. Ich mag mich trösten, dass ich niemanden umgebracht habe. Aber genügt das vor Gott, wenn ich statt dessen sehr wohl keine Zeit für Hilfebedürftige gefunden, Hunger und Durst meines Nächsten nicht beachtet, den Fremden nicht beherbergt, kurz, den Bedürftigen nicht wahrgenommen habe?
Die Unterlassungssünden müssen uns schrecken. Denn, was ich versäumt habe, an Gutem zu tun, ist unwiederbringlich geschehen. Mein Nächster, der mich gebraucht hätte, über den ich hinweggesehen habe (vielleicht, weil ich zu sehr mit mir und meinen Wünschen beschäftigt war), war Jesus selbst, der auf mich gewartet hat.
Mein Gott, hilf mir, dass ich in meiner letzten Stunde doch wenigstens einige Momente vorweisen kann, wo ich Dir in meinem notleidenden Nächsten gedient habe!
Die Texte sind Kommentare zu den Liturgischen Texten und Ausschnitte aus einer Sammlung von Diakon Ing. Peter ERNST.
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