Industrieviertel-Akademie beleuchtete Wandel in der Arbeitswelt
Unter dem Motto „Arbeitswelt und Arbeitsmarkt im Wandel – Eine soziale und demokratiepolitische Herausforderung“ stand die Industrieviertel-Akademie am 9. März 2018 im Wiener Neustädter Bildungszentrum St. Bernhard, zu der die Katholische Aktion des Vikariats Unter dem Wienerwald, das Katholische Bildungswerk und DER SONNTAG eingeladen hatten.
Erwerbsarbeit
Bischofsvikar P. Petrus Hübner OCist erinnerte in seinem Grußwort die 70 Teilnehmenden an den Geist der Benedikt-Regel: „Der hl. Benedikt hat auf das Ora et labora, bete und arbeite, Wert gelegt und der Beschäftigung den Vorzug vor dem Müßiggang gegeben.“ Die Katholische Soziallehre habe immer den Wert der Arbeit in den Mittelpunkt gerückt.
In seinem Vortrag skizzierte der Wirtschaftssoziologe Jörg Flecker (Universität Wien) die Arbeitsgesellschaft, die „durch Erwerbsarbeit“ gekennzeichnet sei. Erwerbsarbeit sichere „Einkommen und materielle Teilhabe, gesellschaftliche Integration und sorgt für Anerkennung und Identität“. Angesichts der rund 500.000 Arbeitsuchenden in Österreich im Februar 2018 handle es sich bei diesen Menschen nicht um individuelles Versagen, so Flecker: „Es ist nicht genug Arbeit für alle da.“
Die seit den 1950er Jahren beschworene Digitalisierung der Arbeit bringe u. a. auch eine „Intensivierung der Arbeit, Arbeit wird nach Hause mitgenommen“. Erwerbslosigkeit, Arbeitslosigkeit bedeute „fehlende Anerkennung, niedrige Absicherung, unsichere Zugehörigkeit und oft prekäre Beschäftigung sowie eine Gesundheitsbelastung“.
Freier Sonntag
Flecker, der den freien Sonntag für sehr schätzenswert hält, sprach sich auch für eine Arbeitszeitverkürzung aus, Österreich sei „ein Land mit langen Arbeitszeiten“. Über 200.000 Menschen machen mehr als zehn Überstunden pro Woche. Die Perspektiven für die Arbeitswelt in Österreich laut Flecker: „Arbeitslosigkeit und Prekarität oder Beschäftigungspolitik und Arbeitszeitverkürzung, stummer Zwang der ökonomischen Verhältnisse oder Regulierung der Arbeit und sozialstaatliche Absicherung, Arbeit auf Abruf oder wählbare und berechenbare Arbeitszeiten, lange Arbeitszeiten und mangelnde Erholung oder nachhaltige Arbeit und Gesundheitsschutz.“
„Die Hälfte der Industriearbeitsplätze im Industrieviertel sind in den letzten Jahren verlorengegangen, zugleich gibt es 27.000 Arbeitsplätze mehr im Dienstleistungssektor“: Daran erinnerte Georg Grund-Groiss, der Leiter des Arbeitsmarktservice (AMS) Wiener Neustadt. Die Arbeitslosigkeit bei gering Gebildeten und bei Migranten sei „stark gestiegen“. Die Ursache sieht Grund-Groiss „in der Wirtschaftskrise seit 2009, im demographischen Wandel und in der Ostöffnung für Arbeitskräfte“. Seit 2011 seien „die Arbeitslosigkeit wie auch die Zahl der Beschäftigten stark gestiegen“.
Seine Handlungsempfehlungen: „Eine (Re)Forcierung der klassischen Bildung, die Förderung der Lehr-Ausbildung, eine aktive Arbeitsmarktpolitik, eine Jedem-das-Seine-Gerechtigkeit (Was brauchen die Menschen konkret?) und ein Nachdenken über ein partielles bedingungsloses Grundeinkommen“.
In Österreich seien die „Bildungschancen erblich“, so der Arbeitsmarktexperte, „in Österreich entscheidet die Herkunft“. Es brauche, wie von der Regierung angepeilt, „keine Arbeitspflicht mehr, sondern eine Ausbildungsgarantie“.
Ehrenamt
Dietmar Köhler vom Verein „Zum alten Eisen?“ war selbst „nie arbeitslos, aber lange erwerbsarbeitslos“. Er erinnerte, dass die vielen Ehrenamtlichen in Österreich die Arbeit von umgerechnet 400.000 Arbeitsplätzen erledigen würden. „Ohne Gratisarbeit würde die Wirtschaft nicht funktionieren“, so Köhler, der „ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie eine Arbeitszeitverkürzung“ forderte, denn „Jammern ist der Gruß des Kaufmanns“, sagt ein Sprichwort.
Für Gabriele Kienesberger von der Katholischen ArbeitnehmerInnenbewegung (KAB) unserer Erzdiözese ist es wichtig, „diesen Wandel aktiv mitzugestalten, um ihn nicht erleiden zu müssen“. Besonders gelte dies für die „Sorge“ („Care“)-Arbeit. Kienesberger: „Wie teilen wir die Sorge-Arbeit heute? In bezahlte und unbezahlte Arbeit? Wird Alles der Logik des Marktes untergeordnet? Wer leistet und wer kann sich Sorge-Arbeit leisten?“ Und sie fragte: „Kann Männern Sorge-Arbeit zugemutet werden?“ Kienesberger gab auch gleich die Antwort: „Ja, wir können ihnen das einfach zumuten.“ Auch sollten alle, die mit Pflegearbeit zu tun haben, davon auch etwas haben im Blick auf die Pension. Im Bereich der Alters-Pflege sollten „Alternativen zwischen häuslicher Pflege und Heim“ gefunden werden.
Mit dem Textilarbeiterinnenlied „Brot und Rosen“ eröffnete KA-Generalsekretär Christoph Watz den Abend, der von Sonntag-Chefredakteur Michael Ausserer moderiert wurde. Bildungsmanager Peter Maurer begrüßte aus der Wiener Neustädter Politik Stadtrat Franz Piribauer MSc (ÖVP), Stadtrat Wolfgang Scharmitzer (SPÖ), Gemeinderat Martin Aksentowicz MA (SPÖ) und für die grüne Gemeinderätin Tanja Windbüchler-Souschill Andreas Löffler. Der KA-Süd-Ausschuss-Vorsitzende Richard Wagner freute sich über die Veranstaltung und dankte allen Beteiligten für das Zustandekommen.
Der Erfahrungsaustausch in den vier anschließenden Arbeitsgruppen mit je einem Impulsgeber/in und eine/m Moderator/in waren derart pulsierend, dass manche gar nicht mehr aufhören wollten. Fritz Krull, der Geistliche Assistent der KAB, wies auf die beiden Begleitveranstaltungen, am 3. April den Film „Einstweilen wird es Mittag“ und am 1. Mai auf den KAB Kultur- und Bildungstag über „Die Arbeitslosen von Marienthal“ in Gramatneusiedl hin. Mit dem Lied „Gorßer Gott, wir loben dich in der KAB-Version ging der Abend zu Ende. Lange noch wurde der Erfahrungsaustausch beim köstlichen Buffet des sozioökonomischen Betriebs Startbahn aus Bad Vöslau, eines der größten Beschäftigungsprojekte Niederösterreichs, fortgesetzt.
Stefan Kronthaler, Franz Vock